Ein Töpferkurs bei Melanie Follmer von 3punktf in Bardowick | Lüneburg bringt uns als Übernachtungsgäste an die Elbe zu Henne, Gans & Co nach Krusendorf. Nah an die deutsche Geschichte und in die Gegenwart von Karin Falter, einer mutigen Unternehmerin mit einem alten Beruf: Filzerin.
Etwas wagen.
Karin ist eine Frau mit vielen Talenten. Sie hat 15-jährige Zwillinge, einen Mann, einen Hund, drei Katzen, eine sich ständig ändernde Anzahl von Sperber-Hühnern und Laufenten und 13 gotländische Pelzschafe. Seit 2013 lebt sie im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue in Krusendorf, einem Dorf mit zehn alten, gut erhaltenen Höfen und einer Dorfkirche. Sie betreibt mit Leidenschaft eine Filzwerkstatt und bietet auf ihrem liebevoll restauriertem Anwesen Übernachtungsmöglichkeiten an. Man kann wählen zwischen einem wunderschönen Appartement im Haupthaus oder zwei ausgebauten Bauwägen auf der grünen Wiese. Das Besondere daran – sie ist aus Überzeugung aus dem Westen in den Osten Deutschlands gegangen.
Kilometerlange Alleen und verschlafene Dörfer
Endlich bei Lüneburg der A7 entronnen, führt unser Weg nach Krusendorf, über die B216 nach Dahlenburg und von dort aus nach Neu Darchau zur Fähre über die Elbe. Wir fahren unter kilometerlangen Alleen hindurch, kommen an kleinen Dörfern, mit ihren typisch norddeutsch verklinkerten Häusern vorbei, manchmal lugt ein reetgedecktes Dach hervor. Es ist Anfang Juni, auf den riesigen Getreidefeldern stehen meterhohe Schlauchtrommeln. Seit März hat es nicht mehr geregnet, jetzt muss bewässert werden. Doch die Ernte wird wegen der andauernden Hitze und Trockenheit schlecht ausfallen. In den bereits reifen Ähren sind kaum Körner.
In Neu Darchau angekommen, warten wir auf die Fähre. Links und rechts gesäumt von Sandbänken, manche belagert von Sonnenanbetern auf bunten Decken, auf anderen stolzieren Kraniche oder Störche, liegt die Elbe ruhig in ihrem Bett. Grün, so weit das Auge reicht. In der Ferne radelt eine Gruppe Fahrradfahrer am Deich entlang. 350 Meter sind es bis ans andere Ufer.
Wider dem Vergessen
Die leichte Brise auf dem Wasser tut gut nach der langen Autofahrt. „Tanja“, die Auto- und Personenfähre bringt uns ans andere Ufer nach Darchau. Bezahlt wird direkt auf der Fähre, die Kinder bekommen Gummibärchen geschenkt, langsam kommt Urlaubsstimmung auf. Nur noch 12 Kilometer, dann haben wir unser Ziel erreicht. Wieder an Land sehen wir nach den ersten 500 Metern im Vorbeifahren auf der linken Seite ein mannshohes Schild: Hier waren Deutschland und Europa bis zum 25. November 1989 um 12:30 Uhr geteilt. Die 109 Gedenktafeln entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze wurden von der gemeinsamen Initiative der Bundesverkehrsminister zur europäischen Erinnerungskultur von 2007 initiiert. Sie verzeichnen den Tag und die Uhrzeit, wann die Grenze am jeweiligen Ort das erste Mal passierbar war. Endlich dämmert es uns: Wir sind im „Osten“.
„Hier kann ich so vieles machen und oft bin ich eine der Ersten.“
Karin begreift den Osten als Chance. Sie ist eine Macherin. Eine, die vom Odenwald auszog und mit ihrem Mann und ihren Kindern etwas gewagt und geschaffen hat. Die Inspiration lieferte 2011 die Urlaubslektüre „Landleben“ von Hilal Sezgin. Einer Journalistin, die von Frankfurt auf einen Hof in die Lüneburger Heide gezogen war, dort mit Schafen, Hühnern und Gänsen lebt und in sehr ehrlicher Weise die Freuden und Leiden des Landlebens beschreibt. Nach dem Urlaub an der Ostsee, bog Karin auf dem Nachhauseweg in den Odenwald spontan von der A7 in Richtung Lüneburger Heide ab. Sie wollte das Gelesene mit eigenen Augen sehen. In die Weite dieser Landschaft hat sie sich sofort verliebt und noch begeisterter war sie, als sie über die Elbe fuhr.
In Krusendorf, einem Ortsteil von Amt Neuhaus in Niedersachsen, mit einer Bevölkerungsdichte von 22 Einwohner je km2, im Vergleich dazu Lüneburg mit 1059 Einwohner je km2 oder München mit 4714 Einwohner je km2, kaufte die Familie Ende 2011 das Wiechmannsche Anwesen. Nur mit viel Fantasie konnte man sich das Haus, erbaut 1894, mitsamt den Nebengebäuden und dem dazugehörenden Grundstück schöndenken. Freunde und Bekannte schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und meinten: Da wäre aber viel zu tun. Schritt für Schritt haben Karin und ihre Familie in den letzten Jahren, mit viel Energie, Geschmack und Gespür für die Materalien, einen wunderbaren Ort zum Leben und Arbeiten geschaffen.
Beruf: Filzerin
Karin kann Mauern einreißen, Böden verlegen, Wände verputzen, mit Pflanzen, Tieren und Menschen gut umgehen. Doch ihre große Leidenschaft ist Wolle, Wolle, Wolle. Seit 2009 arbeitet sie mit Filz und ihre Arbeiten strotzen vor Kreativität. Angefangen hat es mit dem Satz ihres Sohnes Pelle „Mama, mach mir mal ein Huhn, aber nicht so ein kleines, ein Großes!“ Dem Huhn folgten weitere Tiere. Unikate, die so individuell sind, einzigartige Charaktere mit ausdrucksstarker Mimik und liebevollen Details.
Ständig fällt Karin etwas Neues ein, was sie aus Wolle erschaffen kann. Wärmflaschen mit Kraulfaktor oder die genialen „Veggie-Felle“, mit einer Oberfläche aus regionaler Rohwolle oder der Wolle ihrer gotländischen Pelzschafe und einer Grundlage aus regionaler kardierter Wolle oder Bergschafwolle. Kein Tier muß dafür sterben, nur sich „nackig“ machen.
„Filzen ist ein altes, wunderbares, leicht erlernbares Handwerk.“
In ihrer Werkstatt gibt Karin Kurse und bringt Kindern und Erwachsenen die Technik des Nassfilzens bei. Mittlerweile steigt ihr Bekanntheitsgrad in der Region. Oftmals erhält sie den ein oder anderen Tipp, wo im Umland Bauern mit seltenen Schafsrassen leben, z.B. Moorschnucke, Wensleydale, scottish blackface und ungarisches Zackelschaf . Aus deren Wolle werden dann wieder einzigartige Kunstwerke zum Anfassen. So bleibt alles im Fluß und im Kreislauf der Natur – das ist Karin und ihrer Familie wichtig.